Deutsche Fertigungskennzeichen bis 1945
Secret German Armament Codes till 1945

Jahrhundertelang war es üblich, handwerkliche Erzeugnisse mit einem Hinweis auf den Hersteller zu versehen. Büchsenmacher versahen ihre Waffen stolz mit ihrem Namen und Schmiede schlugen ihre Markenzeichen in die Schwerter. Doch Anfang des 20. Jahrhunderts begann im deutschen Reich eine Periode der Geheimniskrämerei.

 

Militaria- und Waffensammler werden sie zu Genüge kennen: die Zahlen- und Buchstabencodes, die auf fast allen militärischen Gegenständen aus der Zeit bis 1945 aufgebracht sind. Doch was verbirgt sich dahinter? Und wie kam es überhaupt dazu, daß sich Hersteller verbergen mußten?

 

Der verlorene Krieg


Am 10.01.1920 war der durch die Weimarer Nationalversammlung angenommene Vertrag von Versailles in Kraft getreten. Das Deutsche Reich mußte die Alleinschuld am Weltkrieg anerkennen, seine Kolonien abtreten und sich zur Zahlung enormer Reparationszahlungen verpflichten. Die einst mächtige deutsche Rüstungsindustrie lag am Boden.

 

Gemäß dem "Gesetz über den Friedensschluß zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten" vom 16.07.1919 durfte die Fertigung von Kriegsgerät aller Art nur noch in Fabriken stattfinden, die von den Alliierten ausgewählt wurden. Die erste Liste vom Mai 1921 umfaßte gerade einmal 13 Firmen für Heeresmaterial und 28 Firmen für Marinematerial. An eine umfangreiche Rüstungsproduktion oder gar waffentechnische Weiterentwicklungen war unter diesen Umständen vorerst nicht zu denken. Auf dem Fertigungsprogramm der abgelehnten Hersteller standen von nun an zivile Gebrauchsgegenstände. Interessanterweise bestimmten die Alliierten die noch relativ unerfahrene Firma Simson & Co. in Suhl zum alleinigen Hersteller für Pistolen, Gewehre und MGs – wohl nicht ohne den Hintergedanken, das Deutsche Reich nachhaltig militärisch zu schwächen.

 

In den nun folgenden Jahren stand die deutsche Industrie unter ständiger Überwachung durch die inter-alliierten Kontrollkommissionen. Einige Unternehmen schafften es, sich ins neutrale Ausland abzusetzen oder dort Niederlassungen zu gründen. Andere Unternehmen wiederum richteten sich im Rahmen der deutsch-russischen Zusammenarbeit Büros in russischen Produktionsstätten ein, so z.B. Henschel, Krupp, Junkers und BMW. Mitte 1927 wurde die Herstellerliste nochmals überarbeitet und auf nur noch 33 zugelassene Firmen gekürzt.

 

Geheime Aufrüstung


Neben der Betätigung im Ausland waren die (ehemaligen) Rüstungsbetriebe auch im Inland aktiv. Erleichtert durch ein stetiges Nachlassen der alliierten Kontrolltätigkeiten, erreichte die geheime Entwicklung und Fertigung bereits bis 1925 einen Umfang, der ohne Kennzeichnung der Produkte nicht mehr überschaubar und kontrollierbar war. Da eine Beschriftung der Produkte mit realen Firmennamen ausgeschlossen war, mußte eine andere Lösung her: getarnte Fertigungskennzeichen. Mit Erlaß vom 12.12.1925 wurden somit für (vermutlich alle) nicht offizielle zugelassenen Rüstungsfirmen Kennziffern zur Tarnung eingeführt.

 

Von vier Abkürzungen der zugelassenen Hersteller ist bekannt, daß sie zur Verschleierung der geheimen Aufrüstung herangezogen wurden:

 

   P        für      Pulver und Sprengstoffe       (Polte, Magdeburg)

   Rdf      für      Munition aller Art                (WASAG, Werk Reinsdorf)

   Rhs    für      Zünder und Zündschrauben   (Rheinische Metallwarenfabrik, Werk Sömmerda)

   S        für      Karabinerteile                     (Simson & Co., Suhl)

 

Dabei ergänzte die Tarn-Kennziffer, die für den tatsächlichen – aber eben illegalen – Hersteller stand, die Abkürzung. So bedeutet der Bodenstempel "P131" auf einer 9-mm-Hülse, daß sie bei der DWM in Berlin-Borsigwalde (= 131) hergestellt worden war, und nicht bei Polte in Magdeburg. Die Alliierten sollten jedoch glauben, daß die Patronen bei Polte vom Band liefen.

 

Dieses Verfahren wurde über 10 Jahre unverändert beibehalten und schien sich in der Praxis bewährt zu haben. Erst 1936 kam es zu einer teilweisen Aufhebung der Tarnung: Nach Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund und der Genfer Abrüstungskonferenz (14.10.1933), sowie der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht am 16.03.1935 waren die Tage des Versailler Vertrags gezählt und die Beschränkungen der Rüstungsindustrie endgültig aufgehoben.Nichts mußte mehr vor herumschnüffelnden Inter-Alliierten Kontrollkommissionen verborgen werden.

Für Pulver- und Sprengstoffhersteller ersetzten ab nun Abkürzungen der Produktionsstätten die bisherigen Kennziffern. Bei der Pulverfabrik Walsrode beispielsweise stand jetzt “Walsr“ anstatt “P128“ auf dem Etikett. Alle anderen Firmen verwendeten vorerst weiter die ihnen zugeteilten Kennziffern.

 

Das Ergebnis der geheimen Aufrüstung bekam die Welt im September 1939 zu sehen. Und kaum hatte die Wehrmacht Polen überrannt, wurde dessen Industrie in die deutsche Rüstungsproduktion eingebunden. Dadurch stieg die Anzahl der Firmen so stark an, daß man Ende 1939 bereits die höchste dreistellige Kennziffer “999“ an eine Genossenschaft in Breslau vergeben hatte. Es mußte also eine neue Lösung her.

 

Zu diesem Problem gesellte sich noch ein weiteres: Im Mai 1940 begann die Royal Air Force mit ihren Bombenangriffen auf deutsches Gebiet. Um die Leistungsfähigkeit der Industrie zu erhalten, waren tiefgreifende Gegenmaßnahmen erforderlich. Neben einem Ausbau der Flugabwehr begann eine umfangreiche Dezentralisierung der Industrie. Kleinere Fabriken und Handwerksbetriebe bildeten ein Netz aus Zulieferern, verstreut im ganzen Reich und den besetzten Gebieten. Auf diese Weise gelang es, die Auswirkungen der Bombenschäden in Grenzen zu halten.

 

Um die genauen Standorte der Hersteller zu verschleiern, ersann man sich zudem ein neues System von Tarnkennzeichen. Der Feind sollte bei erbeutetem Material nicht herausfinden können, wo dieses gefertigt worden ist.

 

 

Das Buchstabencode-System


Im April des Jahres 1940 kam es zur Einführung eines neuen Codierungssystems, bestehend aus maximal drei Buchstaben des kleinen Alphabets. Da die Zuordnung nach dem Zufallsprinzip erfolgte, waren die Codes nicht auf mathematischem Wege zu entschlüsseln.

 

Auch die Abkürzungen der Pulver- und Sprengstoffhersteller wurden an das neue System angepaßt. Ein Schreiben des OKH (AZ. B 65 c 10/11 Wa Z 2 / Nr.1/40 geh.) vom 01.07.1940 gibt darüber Auskunft:

 

"Die Fertigungskennzeichen für Pulver- und Sprengstoffabriken werden wie die übrigen Fertigungskennzeichen aus einer dreistelligen Gruppe kleiner Buchstaben gebildet, so daß sich diese Zeichen rein äußerlich nicht aus der Masse der übrigen getarnten Fertigungskennzeichen abheben. Zur Erleichterung des Einprägens dieser Fertigungskennzeichen durch das Fachpersonal werden dieselben nicht wahllos, wie dies bei den übrigen Fertigungsstätten aus Tarnungsgründen erfolgt, sondern in Anlehnung an die offene Bezeichnung der Fertigungsstätte gebildet."

 

Von 15 Bänden (“a“ - “ozz“) sind die genauen Ausgabedaten bekannt:

 

                   Buchstabengruppe                      Ausgabedatum

 

                   aaa    -  azz                          November 1940

                   baa    -  bzz                          Februar 1941

                   caa    -  czz                          März 1941

                   daa    -  dzz                          April 1941

                   eaa    -  ezz                          Mai 1941

                   faa     -  fzz                          Juni 1941

                   gaa    -  gzz                          Juli 1941

                   haa    -  hzz                          August 1941

                   jaa     -  jzz                           September 1941

                   a       -   zz                           Oktober 1941

                   kaa    -  kzz                           Juni 1942

                   laa     -  lzz                           September 1943

                   maa   -  mzz                          Dezember 1943

                   naa    -  nzz                          August 1944

                   oaa    -  ozz                          Oktober 1944

 

Im Anschluß an die Erstausgaben wurden von Zeit zu Zeit Nachträge, Änderungen und Streichungen nachgereicht. Ob diese alle vollständig in den erhalten gebliebenen Originalen berücksichtigt wurden, ist unklar.

 

Andere Code-Systeme


Neben den bisher aufgeführten Codierungen gab es noch einige andere, weniger umfangreiche Systeme.

 

Eines davon war das Markierungssystem der 1929 in München gegründeten Reichszeugmeisterei (RZM) der NSDAP. Dabei wurden ab dem 16.03.1935 auf dem Fertigprodukt (meist Artikel für politische Organisationen) ein Branchenkennbuchstabe, eine Gruppennummer, eine Firmennummer und manchmal auch das Fertigungsjahr angegeben. Der Code “M 7/40/38“ auf einem NSKK-Mannschaftsdolch bedeutet zum Beispiel, daß der Endverarbeiter “40“ die Gesenkschmiede Carl August Hartkopf aus Solingen war, der Gegenstand unter die Rubrik “7“, also Messer- bzw. Dolch-Produzent in der Metallbranche (“M“), fällt und im Jahr 1938 hergestellt wurde. Neben dieser Markierung wurde normalerweise noch das Logo der Reichszeugmeisterei (RZM) angebracht.

 

Ab 1941 gesellte sich noch das Kennzeichnungssystem der in diesem Jahr gegründeten Leistungsgemeinschaft Deutscher Ordenhersteller, kurz LDO, auf rein militärischen Abzeichen hinzu. Deren Mitglieder bekamen je zwei Nummern zugewiesen, eine Reichskanzlei-Lieferanten-Nummer und eine LDO-Nummer. Letztere ist in der Form “L / Herstellernummer“ auf den Produkten zu finden.

 

Eine weitere Art der Kennzeichnung, über deren Hintergründe nur wenig bekannt ist, sind die Reichsbetriebsnummern (RBNr.). Bislang sind nur verhältnismäßig wenige Nummern identifiziert, wie beispielsweise die RBNr. 0/0020/0053 für die Firma Oster & Co. in Königsberg oder die RBNr. 9/0750/5184 für die Franck'sche Verlagshandlung W. Keller & Co. in Stuttgart.

 

NEUERSCHEINUNG !!

Hot off the press !!